Die Angstschreie habe ich noch in den Ohren, die schlimmen Bilder im Kopf, die Tränen der Patientinnen und Patienten, der Schwestern und Pfleger, der Helferinnen und Helfer und der Angehörigen stehen mir vor Augen. Übermenschliches haben die geleistet, die geholfen haben. Und doch konnten sie nicht verhindern, dass Menschen ums Leben gekommen sind und Verletzung erfahren haben. Das ängstliche Zittern der Hände wird sie noch lange begleiten.
Lass uns aushalten, was geschehen ist: mitfühlen, mitleiden, einander die Hand auf die Schulter legen - und spüren, dass in jeder noch so kleinen Geste auch deine Liebe uns begegnen und trösten will.
Wir suchen nach Verstehen und fragen nach Schuld. Du nimmst uns liebend in den Arm wie eine Mutter ihr Kind.
Sie verbringen die Weihnachtstage im Klinikum. Ich stelle mir vor, dass das nicht leicht für Sie ist. Denn Weihnachten ist das Fest mit vielen Bildern und Erinnerungen von Geborgenheit und heiler Welt. Und Sie empfinden im Moment vielleicht alles andere als Geborgenheit und Heil.
Allerdings ist Weihnachten niemals wirklich ein Fest der heilen Welt gewesen. Die Geschichte vom Jesuskind spiegelt vielmehr eine Welt voller Risse. Wichtig ist aber zu erkennen: In diese Welt ist Gott hineingeboren, um bei den Menschen zu sein, deren Existenz brüchig ist. Und noch etwas anderes gilt: Manchmal braucht es diese Risse im Leben, damit neues Licht hereinscheinen kann. Lassen Sie uns Gott erlauben, dieses Licht für unser Leben zu sein.
Ich lade Sie herzlich ein, in diesen Tagen die Kapelle auf der Ebene -1 aufzusuchen. Es liegen weihnachtliche Texte für Sie aus. Sie sind eingeladen, dort in der Stille Gott nahe zu sein.
Herzlichst, Ihr Pastor und Klinikseelsorger Ulrich Hillmer
Ein theologischer Gedanke hat sich uns besonders tief eingeprägt: dass wir sündige Menschen sind, unfähig zum Guten. Es ist der Grundtenor all der Predigten, die ich als Jugendlicher und Konfirmand gehört habe. Dieser Gedanke hat nichts Aufbauendes und spiegelt letztlich auch nur eine bestimmte Auslegungstradition biblischer Texte. Ein Zentraltext ist dabei die Geschichte von Adam und Eva und der sogenannten Vertreibung aus dem Paradies. Der Beitrag von Florian Breitmeier auf NDR Kultur zeigt, dass man die Geschichte auch ganz anders lesen kann: als Beschreibung des Erwachsenwerdens des Menschen.
„Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe." – so formulierte es Martin Luther einmal in einer Predigt. Und er wollte damit zeigen: Die Liebe ist nicht nur eine Eigenschaft Gottes unter vielen anderen. Sie ist sein Wesen. Gott ist wärmende Liebe. Und sie gilt mir und dir. Du bist geliebt! Ob du es weißt oder nicht. Ob du es fühlst oder nicht. Ob du meinst, du hast sie verdient oder nicht. Ob du gerade gut drauf bist oder völlig neben der Spur. Das ermöglicht Selbstliebe und Liebe zum Anderen. Und dann geht der Spruch noch etwas weiter: ",der da reichet von der Erde bis an den Himmel.“ Ich habe meinen Kinder das auch immer so gesagt, um zu unterstreichen, dass meine Liebe zu ihnen grenzen- und bedingungslos ist. Bei Martin Luther höre ich aber noch mehr daraus, nämlich die Perspektive, dass diese Liebe nicht nur die Erdenzeit umfasst, sondern darüber hinausreicht. Was gab es seinerzeit nicht alles an beängstigenden Vorstellungen von dem Leben nach dem Tod: Gott als Richter, Fegefeuer und Hölle. Nein, sagt Martin Luther: Mit Gott im Herzen steht dir nicht nur die Welt offen, sondern auch der Himmel.
Da ist Wasser – Symbol des Lebens. Ohne Wasser gibt es kein Leben.
Und es ist fließendes Wasser – Bewegung und Veränderung. Und das ist auch wichtig für ein Leben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine Lebenssituation so bescheiden sein kann, wie sie will: wenn Veränderung möglich ist, ist Hoffnung da. Im Klinikum merke ich dies täglich an den Betten: Solange die Ursache für ein Beschwerden nicht gefunden wird, ist es bedrückend; doch wenn sich der Grund abzeichnet und man überlegt, was dagegen zu tun ist, wenn also Bewegung da ist, dann ist das positive Gefühl wieder vorhanden.
Bei diesem Brunnen ist mir aber auch noch etwas anderes eingefallen, nämlich ein Zitat von Bernhard von Clairvaux, der Zisterziensermönch war und von 1090 bis 1153 gelebt hat. Die Zisterzienser zeichneten sich durch ihre große Strenge aus. Aber Bernhard hatte auch eine sehr mitfühlende und seelsorgliche Seite, die er einst gegenüber einem Bruder, der an den Aufgaben des Klosters zu zerbrechen drohte, so in Worte gefasst hat:
„Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale, nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt, während jene wartet, bis sie erfüllt ist. Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter. Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen und habe nicht den Wunsch, freigiebiger zu sein als Gott. Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss, wird zur See. Die Schale schämt sich nicht, nicht überströmender zu sein als die Quelle. Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst. Wenn du nämlich mit dir selbst schlecht umgehst, wem bist du dann gut? Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle, wenn nicht, schone dich.“
Dr. Lilli Schott und ich bieten nach den langen Corona-Monaten wieder wöchentliche Segensandachten an und freuen uns über jede und jeden, die/der den Weg in die Kapelle findet: seien es PatientInnen, Angehörige, MitarbeiterInnen im Klinikum oder BesucherInnen von außerhalb. Wir tun dies im Vertrauen auf das Jesuswort aus Matthäus 18, 20: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." Gebet und Segen innerhalb eines Klinikums wollen die medizinisch-therapeutische Arbeit nicht ersetzen oder in Konkurrenz dazu treten, aber sie wollen bewusst die Tür offenhalten für die Glaubenshoffnung, dass bei Gott nichts unmöglich ist. Herzlich willkommen - an jedem Mittwoch um 16.30 bis ca. 16.45 Uhr!
Wie ein Tunnel aus Schnee. Wie lange wird er wohl anhalten? Ein kleiner Windstoß reicht schon, dass die leichten Flocken gen Boden fallen. Ein klein wenig Sonne und die Schneekristalle werden schmelzen. Bei einer Andacht mit Schülern letzte Woche fragte mich ein Junge hinterher, ob mir denn Gott schon einmal begegnet sei. Ich habe gesagt Ja, aber darüber spreche ich nicht. Denn auch diese Momente sind so vergänglich. Bereits das Reden über sie würde sie zerstören. Wo ist denn dein Gott?, fragen andere angesichts von Krieg und Klimaveränderung. Ich kann es nicht sagen. Aber es gibt immer wieder solche besonderen Moment wie diesen im Wald heute Morgen, wo ich spüre, dass da mehr ist.
"Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende." (Jesaja 55, 8-11)
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Als kleiner Aufheller an diesen regnerisch trüben Januartagen ist mir folgender lieblicher Text in die Hände gefallen: Auf dem Weg zur Grundschule holte ich jeden Morgen meine beste Freundin von zuhause ab. Ich wartete auf der anderen Straßenseite, bis sie aus der Haustür kam. Ihre Mutter kam immer hinter ihr. Dann drehte sie sich um, und die Mutter legte ihr die Hand auf den Kopf. Sie sprach dabei, und meine Freundin strahlte. Ich habe sie dann mal gefragt, was ihre Mutter da macht. Da sagte sie: Sie segnet mich. Als wir dann einmal eine Klassenarbeit schrieben und beide gleich viel wussten, aber ihre Arbeit besser war als meine, da dachte ich: Das muss an dem Segnen liegen. Und ich fragte, ob ich auch den Segen kriegen könnte. Bestimmt, sagte meine Freundin. Und von da an holte ich sie von der Tür ab, und ihre Mutter segnete uns beide. Dass wir beide mal gute und mal schlechte Klassenarbeiten schrieben, änderte das nicht. Aber der Trost, den mir dieser Segen jeden Morgen gab, den erinnere ich genau.